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Zertifikatslehrgang: Empfehlung an alle Unternehmer*innen ...

Albert mit Graffiti
Montag, 3. August 2020

Zertifikatslehrgang: Empfehlung an alle Unternehmer*innen ...

Albert Schwingshandl ist einer der Absolventen unseres Zertifikatslehrgangs "Geld und Gemeinwohl – die Finanzwelt verstehen und gestalten". Er hält sich aktuell in Ecuador auf – das Foto zeigt ihn mit einem Graffiti, zu deutsch etwa "Lieber teilen als konkurrieren!" Albert war so freundlich, uns schriftlich seine Gedanken zum Lehrgang und seinen Inhalten zu übermitteln:

 

 

Hallo, ich heiße Albert Schwingshandl, bin 54, gebürtiger Oberösterreicher und ging vor 36 Jahren nach Wien, um an der BOKU Kulturtechnik und Wasserwirtschaft zu studieren. Hier gründete ich mit meiner ersten Frau unsere wunderbare Familie mit drei Kindern. Nach sechs Jahren Berufserfahrung machte ich mich selbständig und begann 2001 mein Ingenieurbüro RIOCOM (www.riocom.at) aufzubauen. 2019 schloss ich an der Uni Wien das Postgraduate „Interdisziplinäre Lateinamerikastudien“ ab. In der Masterthese verband ich meine Reiselust, die Faszination für die Amazonasregion mit meinem Interesse an Spiritualität. In meinen Interviews unter anderem mit fünf Schamanen der Volksgruppe der Shuar im Amazonasgebiet Ecuadors erforschte ich die sozio-ökonomischen Rahmenbedingungen für ihr Leben, Wirken und ihre Wissensweitergabe an die junge Generation. Dabei kam für mich klar zum Ausdruck, dass die „Macht des Geldes“ sämtliche sozialen und kulturellen Dynamiken durchwirkt und vielfach in Konkurrenz steht zur traditionellen Form der Selbstermächtigung, der Verbindung mit spirituellen Ressourcen.

 

Geld interessiert mich seit meiner frühen Kindheit. Ich bin aufgewachsen mit der Greißlerei meines Vaters, wo ich fasziniert den Geruch und Fluss des Geldes wahrnahm. Und ich erfuhr, dass ich durch mein Mithelfen beim Bedienen der Kunden an diesem Geldfluss mitwirken konnte.
Ich sehe Geld als ziemlich geniales Ding, Mittel, Werkzeug, das wir Menschen uns erschaffen haben. Angelehnt an den Begriff „Datenträger“ aus der EDV, bezeichne ich Geld als „Wertträger“. Mit seiner Hilfe lässt sich Wert bewahren und verteilen. Was ich mit diesem Wert schaffe oder verursache, hängt essentiell von den ethischen Werten ab, die meinem Tun zugrundeliegen.

 

Zum Gemeinwohl, das ist für mich ein sehr großer, vielschichtiger Begriff, der in den letzten Jahren immer mehr Anziehungskraft für mich gewonnen hat. Die aktuelle Finanz- und Umweltkrise kommt daher, dass das Geld(mittel) zum Zweck erhoben und ein Wirtschaftssystem gefördert wurde, das – nach U. Brand und M. Wissen – auf einer imperialen Lebensweise begründet war.
Bei der kommenden Transformation hat das Gemeinwohl das Potential, im neuen gesellschaftlichen Leitbild als oberster Zielbegriff zu dienen, wie ein Bogen der sich über alles spannt. Denn darunter vereinen sich die gesamten Grundprinzipien, die auch meiner Ansicht nach entscheidend sind für die notwendige Neuausrichtung: Solidarität, Kooperation, Verteilungsgerechtigkeit, Nachhaltigkeit hinsichtlich Umwelt und künftiger Generationen. Wie das „gute Leben für alle“ aussehen soll, gilt es in demokratischen und transparenten Prozessen laufend zu verhandeln.

Der Lehrgang "Geld und Gemeinwohl" schafft es hervorragend, ein großes Spektrum von Themen rund um Geld und Gemeinwohl spannend aufzubereiten und – bei aller Breite – in wichtigen Aspekten wirklich auch in die Tiefe zu gehen. Ich lernte, dass Geld auf der systemischen, fachlichen Ebene und auf der persönlichen Ebene zu betrachten ist. Von der persönlichen Geldarbeit nach P. König habe ich die Bestätigung dessen mitgenommen, was ich vorher schon geahnt hatte: dass mir Geld geben leichter fällt als Geld erhalten oder nehmen.

 

Ein großer Wert des Lehrgangs sind die vielen persönlichen Kontakte zu den Vortragenden und den Teilnehmer*innen des Lehrgangs, die in ihrer Buntheit an Herkunft und Wissen mir unzählige Anregungen und Links mit auf den Weg gegeben haben und mit denen ich künftig zum weiteren Austausch und bei Bedarf an Feedback Kontakt aufnehmen kann.

 

Es sind viele Aussagen, die ich mir in den Unterlagen markiert habe, zum Bespiel dass aktuell 10 mal soviel Finanzderivate existieren wie die reale Weltwirtschaftsleistung ausmacht. Oder dass bei Krediten die eigentlichen Geldschöpfer die Kreditnehmer sind, die nach Kredit nachfragen. Dies lässt mich noch nüchterner und sogar freudig auf meine Kredite schauen, die ich als Unternehmer laufen habe, denn damit habe ich Sinnvolles und Nützliches auf den Weg gebracht. „Geld entsteht durch mein Tun … oder durch meine Idee, wenn mir jemand gegenübersitzt der bereit ist und wir eine Vereinbarung treffen über den Wert. Verantwortlich bin ich mit meiner Idee.“

 

Ich arbeite seit 2015 gemeinsam mit meinen zehn Mitarbeiter*innen mutig und neugierig an der Umgründung meines Unternehmens. Der Lehrgang hat mich in allen Belangen bestärkt, dass wir dabei auf dem richtigen Weg sind, und er kam genau zur rechten Zeit, um „für die Zielgerade“ des Prozesses noch wichtige Impulse im Bereich Geldwesen, gemeinschaftliches Wirtschaften und die visionäre Ausrichtung des neuen Unternehmens aufzugreifen. Meine Lehrgangs-Projektarbeit mit dem Titel „Transformation RIOCOM – Vom Ingenieurs-Einzelunternehmen zu einem gemeinwohlorientierten, interdisziplinären Netzwerk“ nutzte ich dafür, um den bisherigen Prozess zu zeichnen und resümieren sowie die offenen Fragen oder fehlenden Bausteine herauszuarbeiten.

 

Mir wurde noch schöner bewusst, dass durch die Arbeitsinhalte von RIOCOM die Gemeinwohlorientierung schon als Fundament im Unternehmens angelegt ist: denn wir simulieren Hochwasser und Starkregen für die Bewusstseinsbildung und die Risikovorsorge der Betroffenen, planen Schutzmaßnahmen für Gemeinden und Infrastrukturbetreiber, erstellen Katastropheneinsatzpläne für Feuerwehren, planen Flussrenaturierungsprojekte, führen Informationskampagnen und Beteiligungsprozesse im Umweltbereich durch.

 

Als neue Rechtsform streben wir die Genossenschaft an, weil sie am anziehendsten, passendsten und beweglichsten erscheint. Ziel ist, allen Mitarbeiter*innen die Miteigentümerschaft am Unternehmen zu ermöglichen, in einem Maß wie sie/er dies kann und will. Daneben wollen wir ein Kollektiv an externen Mitglieder aufnehmen, die vielfältigen Nutzen an der Mitgliedschaft haben (Anteil am Gewinn, Anbieten und Nutzen von Diensten und Informationen innerhalb des Netzwerks) und der Genossenschaft Investitionspotenzial und zahlreiche Synergien bringen können (zB. als Multiplikatoren in der Projektakquise, für den Aufbau neuer Kompetenzfelder). Ein Satz aus dem Lehrgang hat mich bezüglich der externen Mitglieder bestärkt: „Es gibt heute zuviel Geld das herumliegt und nach Rendite sucht.“

 

Für die Genossenschaftsgründung haben wir schon wesentliche „Hausaufgaben“, wie Satzung und GO, als Entwurf erstellt. Im vergangenen Jahr kamen wir drauf, dass wir die Organisationsstrukturen und Entscheidungsprozesse weiterentwickeln müssen, bevor wir den Überbau – in Form der neuen Rechtsform – fertigstellen. Mittlerweile sind wir schon recht weit gekommen bei der Einführung einer Kreisstruktur und von soziokratischen Entscheidungswerkzeugen. Diese gilt es nun noch weiterzuentwickeln und mit der Genetik der Genossenschaft zu verbinden. Damit sind wir für den Übergang wirklich gut vorbereitet. In einem essentiellen Baustein, die Bestimmung des Einbringungswertes und die Form der Abgeltung an mich als bisherigen Alleineigentümer, benötigen wir noch dringend Rat und Unterstützung. 2021, zum 20-Jahresjubiläum, wollen wir mit einem großen Fest das Modellunternehmen RIOCOM e.Gen. aus dem Hafen laufen sehen!

 

Die Teilnahme am Lehrgang würde ich allen empfehlen, die Geld interessiert oder die sich in ihrer Beziehung zu Geld weiterentwickeln wollen, und allen, die beim Begriff Gemeinwohl eine zumindest leichte Gänsehaut bekommen.
Und besonders allen Unternehmer*innen, weil wir von der Basis der vielen Klein- und Mittelbetriebe viel verändern werden können für einen Wandel im Wirtschaftssystem und für eine gute Zukunft.