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"Der Wandel erfordert ein Umdenken, das ganz tief gehen muss!"

Ulrike Niethammer Portrait
Donnerstag, 9. Juli 2020

"Der Wandel erfordert ein Umdenken, das ganz tief gehen muss!"

Liebe Ulrike, du hast am Zertifikatslehrgang "Geld und Gemeinwohl – die Finanzwelt verstehen und gestalten" teilgenommen. Wir freuen uns, dir dazu einige Fragen stellen zu dürfen:

 

Was bedeutet Geld für dich?

Geld ist, womit wir alle jeden Tag umgehen, es durchdringt sämtliche Lebensbereiche. Wir nutzen es täglich, ohne nachzudenken – und können so viel Gutes und Schlechtes bewirken. Interessant dabei: Wie wir Geld täglich wahrnehmen, hat mit der Wirklichkeit, wie es konstruiert ist, nichts zu tun. Es ist bei diesem Thema wirklich schwer, in die Tiefe vorzudringen, weil dieser Widerspruch so groß ist.

 

Geld, das habe ich im Lehrgang vor allem gelernt, muss fließen. Entscheidend bei der Transformation unserer Wirtschaft wird sein, welche Regeln man festlegt, um Geld dorthin zu lenken, wo es den Menschen dient. Heute sehen die Mechanismen so aus, dass dort, wo Reichtum ist, sich automatisch mehr anhäuft. Wer wenig hat, bekommt immer weniger. Je nachdem, ob man selbst gerade auf der Sonnen- oder Schattenseite steht im Leben, sind die Auswirkungen profitabel oder prekär. Dieses Prinzip erleichtert Machtmissbrauch und fördert Monopolisierung. Die Mechanismen müssten so sein, dass gerechter verteilt wird, die Umwelt geschützt wird, die Ressourcen nicht ausgebeutet werden. Und dass Leistung, die durch Arbeit entsteht, höher geschätzt wird, um ein menschwürdiges Leben zu gewährleisten. Das ist ja das Verrückte: die künstliche Intelligenz boomt, dadurch verlieren wir Arbeitsplätze – und gleichzeitig müssen die Leute ja von etwas leben.

 

Heute ist es auch so, dass immer noch ein Markt entdeckt werden muss, der bisher noch nicht entdeckt wurde. Geldvermehrung hat etwas mit Macht und Ausdehnung zu tun, sie passiert durch Dinge, die vorher nicht in Besitz waren: neue Technologien und Patente, Rohstoffe, neue Landstriche, die durch Infrastruktur erschlossen werden ... Dabei werden Gewinne häufig privatisiert und Verluste von der Allgemeinheit getragen. Das dient auch nicht dem Gemeinwohl.

 

Was bedeutet für dich Gemeinwohl?

Gemeinwohl sollte eine Selbstverständlichkeit sein, die Gesellschaft sollte so organisiert sein, dass es allen Beteiligten mehr oder weniger gleich gut geht. Jeder Mensch hat ein ganz natürliches Gerechtigkeitsempfinden, ein ganz feines Empfinden, was Gegenseitigkeit, Reziprozität betrifft – das ist ganz wesentlich für den sozialen Frieden in einer Demokratie. In unserer Gesellschaft ist das leider nicht sehr stark ausgeprägt.

Während hoch technisierte Berufe – die oft mit ganz viel Zerstörung zusammenhängen (IT, Rüstung….) – hochdotiert sind, sind jene Bereiche unterversorgt, die lebenserhaltend wirken: der ganze soziale Bereich, der Bildungsbereich, die Kunst, Mütter im täglichen Leben. Besonders schlimm finde ich es in der Landwirtschaft: Landwirte können fast nur mit Monokulturen durch Subventionen überleben, obwohl jeder weiß, dass das schädlich ist.

Gemeinwohl heißt, so zu wirtschaften, dass es allen dient – leider ist es in Negativbeispielen leichter zu erklären als in positiven. Im Lehrgang gab’s da ein tolles Beispiel von einem Referenten, der in einem genossenschaftlich aufgestellten Wohnprojekt lebt, das über einen treuhänderisch verwalteten Vermögenspool ohne Beteiligung von Banken finanziert wurde. So entstehen Selbstbestimmtheit und Unabhängigkeit. Es braucht mehr solcher Projekte!

 

Was waren für dich die wichtigsten Erkenntnisse, die du aus dem Lehrgang mitnehmen konntest?

Die Inhalte haben sich nicht an der Oberfläche bewegt, sondern das Geldsystem aus den unterschiedlichsten Perspektiven beleuchtet. Das war so wertvoll. Gleichzeitig ist genau diese Vielschichtigkeit das schwierige daran, weil man sieht, dass es ein Umdenken erfordert, das ganz tief gehen muss. Wenn man sich historisch ansieht, wie unser Geldsystem gewachsen ist, und wie das mit Expansion und Macht zusammenhängt – da kriegt man das Grausen! Bis heute hat sich da nichts daran geändert. Dieses System zu heilen ist eine große Herausforderung, aber immens wichtig. Damit würde man auch ganz viel anderes heilen.

Ich bin auch dankbar für die „Geldarbeit“ und praktischen Übungen nach Peter König, die Alfred Strigl in den Lehrgang gebracht hat [und die sich mit dem ganz persönlichen Umgang mit Geld befasst, Anm.]. Diese Erfahrung war erstaunlich. Mit großer Skepsis habe ich mich auf die Übungen eingelassen und gemerkt, sie bewirken etwas in mir. Das war sehr erkenntnisreich, weil ich meine Einstellung zum Geld dadurch differenzierter wahrnehmen und erweitern konnte.

 

Was gestaltest du nun persönlich in diesem Bereich?

Ich bin von Anfang an mit der Idee einer Bildungsreihe in den Lehrgang gestartet, weil ich finde, dass die meisten Menschen viel mehr über Geld und das Geldsystem wissen müssten. Und wenn ich schon einen tollen Lehrgang besuche, dann will ich auch, dass die Inhalte gestreut werden.

Ich veranstaltete also in Herrenberg [bei Stuttgart, Anm.] einen kostenfreien vierteiligen Lehrgang, immer samstags 10-17 Uhr. Das war genau die richtige Länge, um in die Tiefe gehen zu können. Er widmete sich vier Fragen: 1. Was ist Geld?, 2. Wie wirkt Geld?, 3. Inwieweit ist unser Geld demokratisch legitimiert?, und 4. Wie kann ein gemeinwohlorientiertes Geld- und Finanzsystem aussehen? Dafür hatte ich Referent*innen von der GLS-Bank, von Oikocredit, der „Monetative“ und schließlich Günter Grzega für Modul 4 eingeladen, das wegen Corona noch aussteht und am 25.07.2020 stattfinden wird. Ich hatte den Workshop für 12-24 Teilnehmer*innen geplant, gekommen sind z.T. 27. Vom Rentner bis zu jungen Leuten aus den unterschiedlichsten Bereichen. Sie waren begeistert, haben konzentriert gearbeitet. Über Textarbeit mit konkreten Fragestellungen haben wir in Kleingruppen unterschiedliche Aspekte des Geldes behandelt und anschließend im Plenum diskutiert. Z. B: Wie funktionieren die zwei Geldkreisläufe? Was bedeutet positiver und negativer Zins, wie wirken sie sich auf mein Geldvermögen aus? usw.

Die zentrale Erkenntnis – wie im Zertifikatslehrgang: Geld muss man fließen lassen. Die Atmosphäre war offen, nachdenklich, in die Tiefe gehend. Auch dahingehend habe ich aus dem Lehrgang „Geld und Gemeinwohl“ viel mitgenommen: wie schafft man eine vertrauensvolle und einladende Stimmung, wie gestaltet man die Prozesse transparent? – Die Bildungsreihe „GELD – Kitt oder Sprengstoff?“ war bisher ein voller Erfolg!

 

Da ich mich noch tiefer mit Geld auseinandersetzen wollte, habe ich weiter recherchiert und bin auf die Pufendorf Gesellschaft [1] in Berlin gestoßen. Ihr Ziel ist, in unserer Demokratie über Geld aufzuklären. Sie geht dabei von der „Modern Money Theory“ von Randall Wray aus. Seit ein paar Wochen wird dieses Buch auf Deutsch übersetzt und dabei und in kleinen Häppchen jeden Freitag veröffentlicht. Mit zwei weiteren Personen aus unserer GWÖ-Baden-Württemberg-Gruppe habe ich mich nun zusammengetan, und wir versuchen die Inhalte gemeinsam zu verstehen und diskutieren über die Hypothesen und geldtheoretischen Überlegungen. Es ist wichtig, das gemeinsam zu tun: Der eine versteht den einen Aspekt, der andere den anderen ... Wir wollen eine weitere Bildungsreihe „Geld verstehen, hilft die Welt zu verstehen!“ organisieren, basierend auf dieser modernen Geldtheorie, die die Zusammenhänge im Geldsystem wissenschaftlich darstellt. Diese Bildungsreihe soll modulhaft anzuwenden sein – auch für die GWÖ-Kolleg*innen, wir wollen sie über die Volkshochschulen und andere Bildungsakademien weitergeben ... Eine Befragung potentieller Teilnehmer*innen hat die 3 Top-Fragen ausgegeben, mit denen wir die nächste Bildungsreihe gestalten wollen:

 

Ich möchte besser verstehen ...
1.    ob ein Geld- und Finanzsystem eingebaute Mechanismen bekommen kann, durch die es umweltverträglicher und gerechter wird
2.    welche Strukturen immer wieder zu Krisen führen
3.    wie sich ein Staat finanziert.

 

Wem würdest du die Teilnahme an unserem Zertifikatslehrgang "Geld und Gemeinwohl" empfehlen?

Ich habe den Eindruck, dass in der GWÖ-Welt die allerwenigsten ausreichend von Geld verstehen, obwohl Wirtschaft für sie ja ein großes Thema ist. Deshalb würde ich mir wünschen, dass viele „GWÖler“ mitmachen. Aber prinzipiell würde ich die Teilnahme jedem empfehlen, der für ein demokratisches Zusammenleben ist, der sich für Volkswirtschaft und wirtschaftliche Zusammenhänge interessiert, sich für Gerechtigkeit einsetzt – und für alle, die an tiefem, ehrlichen und wertschätzenden Austausch interessiert sind. Da möchte ich der Lehrgangsleitung und den Referenten ein großes Lob aussprechen. Christina und Sylvia [die Lehrgangsleitung, Anm.] haben alles sehr einladend und wertschätzend vorbereitet und an alles gedacht. Die Referenten waren ebenso wertschätzend und an einer echten menschlichen Begegnung interessiert. Das habe ich als besonders wertvoll erlebt. Meine Erfahrungen in vielen anderen Fortbildungen sind, dass das Thema zwischen den Vortragenden und den Teilnehmer*innen irgendwie „festhängt“ und eher trennt. Hier hingegen ist es geflossen und hat uns verbunden.

 

Vielen Dank!

 

[1] Die Pufendorf Gesellschaft hat zum Ziel, die Funktionsweise unseres Geldsystems mit Hilfe von MMT und verwandten Theorien zu erklären. Die Modern Money Theory ( Randall Wray) wurde in den 90ern entwickelt und veranschaulicht monetäre Zusammenhänge zwischen Regierung, Zentralbank, Finanzsektor und Privatwirtschaft mit Hilfe zusammenhängender Bilanzen. In einer Demokratie ist es unverzichtbar, dieses Wissen möglichst vielen Bürgern zu vermitteln.