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Raus aus der Krise – rein in die Vernunft!

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Mittwoch, 25. März 2020 – von Christina Buczko

Raus aus der Krise – rein in die Vernunft!

Unser Wirtschaftssystem in Zeiten von Covid-19 – und danach

Plötzlich ist alles anders, die nächste große Krise ist da. Schon zeigt sich, dass neben dem Virus die größte Angst immer noch jene vor einem Zusammenbruch unseres gegenwärtigen Wirtschafts- und Finanzsystems ist. Mächtige Interessen verhindern hier seit Jahren erfolgreich wirksame Reformen. Nach der letzten großen Wirtschafts- und Finanzkrise vor rund zehn Jahren blieb praktisch noch alles beim alten. Vielleicht bietet diese Krise die Chance, unser aller Gemeinwohl in das Zentrum unserer Wirtschaft und damit auch unseres Geld- und Finanzsystems zu rücken.

Rezession, Wertverluste an Aktienmärkten und ein plötzliches “Tun, was notwendig ist” (1)

Viele Wirtschaftsforscher*innen sind sich einig, dass wir uns aktuell auf eine der größten Wirtschaftskrisen der jüngeren Geschichte zubewegen. Sollte die Strategie der Verlangsamung der Neuinfektionen mit dem Covid 19-Virus erfolgreich sein, bedeutet dies nicht zuletzt, dass sämtliche Maßnahmen, die unser soziales Leben und damit auch die Wirtschaft massiv beschränken, noch recht lange aufrechterhalten werden müssen. Sowohl Industrieproduktion als auch Konsum werden dadurch längerfristig drastisch reduziert, globale Lieferketten und Just-in-Time-Produktion zu Recht infrage gestellt. Und nicht zuletzt wurde der Kernwert der kapitalistischen Wirtschaft, das Wachstum, praktisch von einem Tag auf den anderen abrupt unterbrochen. Das deutsche Wirtschaftsforschungsinstitut IFO rechnet für Deutschland bereits mit einem Rückgang der Wirtschaftsleistung zwischen 7,2 und 20,6%. Vor wenigen Wochen wäre dies noch undenkbar gewesen.

 

Auch auf den internationalen Finanzmärkten ist die Krise deutlich zu spüren: Die wichtigsten Börsenindizes, die seit der Finanzkrise 2008/9 um das Vier- bis Fünffache zugelegt hatten, verloren binnen weniger Tage massiv, um die 40%, an Wert (2). Der Ökonom Stephan Schulmeister weist darauf hin, dass als Folge viele Banken und Unternehmen die Werte ihrer Aktienportfolios bereits zu Ende des 1. Quartals diesen Jahres nach unten korrigieren müssen. Dieselbe Dynamik führte nach der Wirtschafts- und Finanzkrise ab 2008 dazu, dass das Eigenkapital der Banken zusammenschmolz, was wiederum teure Rettungsmaßnahmen durch die öffentliche Hand erforderlich machte. (www.freitag.de/autoren/pep/die-finanzmaerkte-entmachten) Aktuell bedeutet es unter anderem, dass kapitalmarktgestützte Pensionsvorsorgen deutlich an Wert verlieren werden. In Österreich betrifft dies die zweite – die Betriebspension – und die dritte Säule – die teils staatlich geförderte private Altersvorsorge – des Pensionssystems.

Hilfszusagen von Regierungen, EZB, FED und anderen: Wem wird geholfen?

Die österreichische Regierung stellte bis dato rund 38 Mrd. Euro an Finanzhilfen für bedrohte Unternehmen in Aussicht. Die Europäische Zentralbank beschloss ein Hilfspaket in der Höhe von 750 Mrd. Euro, was in etwa 6% der Wirtschaftsleistung der Eurozone entspricht. Die US-amerikanische Notenbank senkte den Leitzinssatz bereits am 15. März auf 0%. Und Mitte März kündigte US-Präsident Donald Trump ein 50 Milliarden US-Dollar-Hilfsprogramm an – für US-Fluggesellschaften. Am 25. März beschloss die US-Regierung schließlich ein Corona-Hilfspaket in der Höhe von zwei Billionen US-Dollar. Noch scheint der politische Wille zur Stützung der Wirtschaft, wie wir sie bisher kannten, ungebrochen. Da sich nach der letzten großen Krise 2008/9 strukturell kaum etwas geändert hatte, lässt sich sagen, dass Covid 19 heute bestenfalls der Anlass, aber nicht die Ursache der sich abzeichnenden Krise ist.

Der Markt regelt es diesmal nicht.

Wie alle Krisen betrifft jedoch auch diese nicht jede*n gleich. Selbst in unserem Land lebt eine beträchtliche Zahl an Menschen praktisch von der Hand in den Mund, und es zeigt sich bereits jetzt, dass gerade kleine Unternehmen, Familienbetriebe und Start-up Unternehmen kaum über ausreichende Reserven verfügen, um aus eigener Kraft mehrere Monate an Einkommensausfällen überbrücken zu können. Zugleich mehren sich die Nachrichten über Wetten auf fallende Aktienkurse, so genannte Leerverkäufe, durch große Finanzmarktakteure. Allein der weltweit größte Hedgefonds Bridgewater Associates schloss derartige Untergangswetten in der Höhe von 14 Mrd. Dollar (12,7 Mio. Euro) ab. (www.welt.de/finanzen/article206622995/Untergangswetten-Hedgefonds-nehmen-Dax-Konzerne-ins-Visier.html)

 

In der Krise ist in der Regel die öffentliche Hand gefordert. Vielleicht liegt darin eine Chance, die zunehmende Ökonomisierung aller Lebensbereiche, darunter auch des aktuell geforderten Gesundheitswesens, zurückzudrängen sowie auch den anhaltenden Trend zur Privatisierung in allen Lebensbereichen, und auch der Daseinsvorsorge, endlich zu beenden.

Wirtschaftsdemokratie & "Kooperation statt Konkurrenz":
Jetzt die Weichen stellen für die Zeit nach der Krise!

Das jetzt weltweit grassierende Virus führt uns einige Dinge besonders deutlich vor Augen: die Verletzlichkeit und Instabilität unser Wirtschaft und des Finanzsystems, und dass wir als Menschen letztendlich aufeinander angewiesen sind. Dies birgt die Hoffnung, dass eine verstärkte Orientierung am Gemeinwohl endlich auch in die Wirtschaft und ins Finanzsystem Eingang findet. Vielleicht hilft uns ein Krankheit verursachendes Virus dabei, dies endlich zu erkennen und unsere Welt derart neu zu gestalten, dass fortan ein gutes Leben für alle ohne Überbeanspruchung von Umwelt und Klima, und nicht wie bisher eine absolute Profitmaximierung das oberste Ziel unseres Wirtschaftslebens bildet. Dabei sollten wir uns nicht ausschließlich auf die bestehenden Institutionen verlassen, sondern aktiv die demokratische Mitbestimmung bei der Gestaltung unseres Wirtschafts- und Finanzsystems einfordern.

 

Erste wichtige Maßnahmen umfassen aus unserer Sicht unter anderem eine verpflichtende Prüfung von Investitionen und Kreditvergaben im Rahmen eines umfassenden Konjunkturprogramms zur Förderung der Wirtschaft nach der Krise nach ethischen und Gemeinwohl-Kriterien, eine gesetzliche Größenbegrenzungen für Banken und eine neuerliche Trennung zwischen Risiko- und traditionellem Bankgeschäft (siehe auch www.gemeinwohl.coop/sites/www/files/downloads/pfg_policy_paper_1.pdf) sowie ein sofortiges EU-weites Verbot von Derivaten (3) und Leerverkäufen an den Finanzmärkten. Dass Verbote letzterer möglich sind, zeigt sich aktuell in Europa. Bereits mehrere Länder erließen in den vergangenen Tagen gänzliche oder teilweise, wenn auch zeitlich befristet, Verbote von Leerverkäufen, darunter Spanien, Italien, Frankreich und Belgien. Auch in Österreich verhängte die Finanzmarktaufsicht bis vorläufig 18.4. ein Verbot für Leerverkäufe von Aktien, die an der Wiener Börse gehandelt werden (4). Unser Aufsichtsratsmitglied Christian Felber sieht die Geldpolitik durch Zentralbanken als zentralen Mechanismus zur Abfederung der drohenden Wirtschaftskrise, und fordert hier ein deutliches Signal zur gezielten Unterstützung kleiner Unternehmen, jener von Arbeitslosigkeit Betroffenen und zur Verhinderung einer tiefgreifenden Rezension mit all ihren fatalen Auswirkungen auf das Leben vieler Menschen (siehe sein Video auf YouTube).

 

Gerade die Beendigung der privaten Geldschöpfung durch Kredite für nicht wertschöpfungswirksame Finanzaktivitäten bildet einen wirksamen Hebel im Sinne eines gemeinwohlorientierten Geld- und Finanzsystems (www.gemeinwohl.coop/sites/www/files/downloads/pfg_policy_paper_2.pdf). Dies würde eine Finanzwirtschaft, die nicht zur Finanzierung realwirtschaftlicher Unternehmungen beiträgt, die jedoch zu massiver Vermögenskonzentration geführt hat, in Zukunft deutlich erschweren.

Genossenschaft für Gemeinwohl – ein Angebot, gemeinsam konkret zu handeln

Mit unserer Crowdfunding-Plattform und dem Gemeinwohlkonto in Kooperation mit dem Umweltcenter der Raiffeisenbank Gunskirchen haben wir als Genossenschaft bereits erste Schritte in diese Richtung gesetzt. Hier können entweder direkt oder mit dem Guthaben auf dem Gemeinwohlkonto gezielt Investitionen in geprüfte nachhaltige und regionale Unternehmen und Initiativen getätigt und gefördert werden. Und zwar ausschließlich! Als Genossenschaft mit rund 5.000 Mitgliedern setzen wir uns für die Schaffung eines Geld- und Finanzsystems ein, das dem Gemeinwohl dient. Wir sind in diesem Sinne eine Interessensvertretung für Menschen, die den Wandeln des Wirtschafts-, Geld- und Finanzsystem aktiv vorantreiben. Für Menschen, die sehen, dass dies eine notwendige Grundlage ist, um den großen Herausforderungen unserer Zeit zu begegnen: der Klimakrise ebenso, wie einer extrem unausgewogenen Verteilung von Ressourcen, die ein friedliches Zusammenleben von Menschen gefährdet, und der Schwächung von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit. Jede*r Genossenschafter*in ist Teil einer community, die dafür nicht nur Bewusstsein schafft, sondern auch konkrete Angebote bereitstellt. Dadurch kann jede*r einzelne bereits heute einen Beitrag zu einer resilienten und krisenfesten Wirtschaft leisten.

 

Siehe auch unseren aktuellen Beitrag "Kooperation statt Konkurrenz – demokratisieren wir unsere Wirtschaft!" auf kontrast.at

 

Anmerkungen:

  1.  www.bmf.gv.at/presse/pressemeldungen/2020/maerz/Bluemel-Tun-was-notwendig-ist-um-zu-helfen.html
  2. Am 24. März kam es angesichts eines von der US-Regierung angekündigten Konjunkturpakets an den großen Börsen wieder zu Kurszuwächsen um die zehn Prozent.
  3. Derivate sind “Finanzinstrumente, deren Wert vom Preis eines anderen Finanzinstruments abgeleitet ist”, z.B. Termingeschäfte, die auf den Finanzmärkten etwa bei Rohstoffgeschäften zur Anwendung kommen. (Österreichische Nationalbank, 2020)
  4. https://www.ris.bka.gv.at/Dokumente/BgblAuth/BGBLA_2020_II_106/BGBLA_2020_II_106.pdfsig